Todesstreifen

Ben und Marc sehen sich zum Verwechseln ähnlich und sind zunächst sprachlos, als sie einander gegenüberstehen. Ben sagt nichts, weil er einen Knebel im Mund hat. Marc hat Ben gekidnappt, damit er mit dessen Pass in den Westen abhauen kann.

Es ist das Jahr 1985, Berlin durch die Mauer geteilt. Marc, der Ost-Berliner Junge, hat Ärger, weil er sich im Unterricht kritisch äußert. Die DDR, findet er, sei ein Unrechtsstaat. „Wer diskutiert, ist ein Schädling“, entgegnet sein Lehrer und droht, ihn ins Heim zu stecken. Ben, der Junge aus dem Westen, der als Gast-Leichtathlet mit einer Sportlergruppe an Jugendspielen in Ost-Berlin teilnimmt, fällt aus allen Wolken, als ihm Marc den Pass wegnimmt. Er wolle nur solange im Westen bleiben, verspricht Marc, bis er seine Mutter gefunden hat. Die war aus der DDR geflohen, als Marc fünf Jahre alt war. Seitdem lebt der Junge bei seiner Oma.

Die pfiffige Großmutter merkt sofort, dass sie nicht ihren Enkel vor sich hat, als der Junge nach Hause kommt. Ben berichtet ihr alles. Sie will ihm helfen. Doch schnell wird klar, dass die einfache Logik der Jungen zum Scheitern verurteilt ist. Die Grenze ist streng bewacht, die Polizei hält Ben für Marc, und selbst als Bens bester Kumpel Andreas den Pass über die Grenze schmuggelt und Ben in Ost-Berlin trifft, geht die Rechnung nicht auf – denn es fehlt der zugehörige Passierschein. Zurück in den Westen aber darf Ben nur mit beidem. Was bleibt, ist die Flucht über den Todesstreifen. Kleine Ungereimtheiten in der Handlung sind diesem spannenden Mauer-Krimi zu verzeihen. Das Ende kommt unerwartet und ein bisschen gewollt, trotzdem: Klare Leseempfehlung!

Helen Endemann: Todesstreifen. Rowohlt, 256 Seiten broschiert, 14 Euro, als E-Book 9,99 Euro. Ab 13 Jahre.

Grenzgänger

Grenzgänger hießen bis zum Sommer 1961, ehe die Mauer gebaut wurde, Menschen, die täglich von Ost- nach West-Berlin pendelten, etwa zwischen ihrer Wohnung und ihrer Arbeitsstelle. So wie Julian. Er hat einen weiteren Grund: Seine Freundin Heike lebt im Westen. Das Glück gerät zum Drama, als die Teilung kommt. Die Mauer trennt auch Julian und Heike. Zuvor war die Grenze zwischen West- und Ost-Berlin zwar gezogen, aber durchlässig gewesen. Weil mehr und mehr Menschen aus Ost-Berlin und der DDR beschließen, im Westen zu bleiben und dazu den Weg über West-Berlin wählen, greift der Staat hart durch. Er riegelt das Land ab. Nach dem Mauerbau bekommt Julian im Osten die Härte der DDR zu spüren. Er findet keine Arbeit, er ist stigmatisiert. Er will nur noch weg. Der einzige Weg ist nun eine riskante Flucht. Sie gelingt ihm, fordert aber zwei Generationen lang Opfer in Julians Familie. Damit sind nicht nur Druck und gesellschaftliche Ausgrenzung gemeint, die Teilung fordert auch Menschenleben aus den Reihen der Niemöllers. Erst Julians jüngste Cousine Sybille wird Freiheit erfahren. Als am 9. November 1989, nach 28 Jahren, die Mauer „fällt”, ist die 19-Jährige mittendrin.

Die Niederländerin Aline Sax ist eine Nachgeborene, sie kennt die DDR nur aus Geschichten. Diesen hat sie teils fasziniert, teils beklommen gelauscht, und die dramatischen Schicksale der Menschen im Osten ließen sie nicht mehr los. Mit viel Einfühlungsvermögen erzählt Sax drei Lebensläufe in einer DDR-Familie, stimmig und gut nachvollziehbar. Der Roman weckt hohe Erwartungen, denen er größtenteils mehr als gerecht wird. Einzig stört, dass weder Julians Schicksal im ersten Drittel des Buches noch das seiner Nichte Marthe im zweiten ganz aufgeklärt werden. Das Wissen, dass beide überleben, stellt den Leser nicht zufrieden.

Aline Sax: Grenzgänger. Urachhaus, 490 Seiten gebunden, 19 Euro. Ab 14 Jahre.